jan 1, 1812 - ABGB
Description:
Zeitraum:
1811/12
Vorgeschichte:
• 1753 (parallel zu preußischen Kodifikationsarbeiten) Einsetzung einer
Kommission zur Abfassung eines „Codex Theresianus, worin für alle Erblande ein Jus privatum et certum et universale statuiret wird“ durch Maria Theresia
Entstehung:
• 1766 Entwurf des „Codex Theresianus“ in acht Bänden – zur Kürzung und Überarbeitung zurückgewiesen
• Resolution Maria Theresias vom 4.8.1772
1. Solle das Gesäz- und Lehr-Buch nicht miteinander vermenget, mithin alles jenes, was nicht in den Mund des Gesäzgebers, sondern ad Cathedram gehöret, als Definitionen, Divisionen, und dergleichen aus dem Codice ausgelassen werden.
2. Solle alles in möglichster Kürze, so viel es ohne undeutlich zu werden geschehen kann, gefasset, anbei sich in kein allzu genaues detail, besonders, wo dieses dem Gesäzgeber gleichgültig seyn kann, eingelassen, und die casus rariores entweder übergangen, oder unter allgemeinen Sätzen begrifen werden ...
• 1776 Kommissionsarbeit wg. zunehmenden Widerstandes gegen Rechtsvereinheitlichung in der Kommission abgebrochen
• 1780 Wiederaufnahme der Kodifikationsarbeit durch Joseph II. und 1786 Inkraftsetzung eines Ersten Teils (Personen-, Ehe-, Kindschafts- und Vormundschaftsrecht) des „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs“ (sog. Josephinisches Gesetzbuch)
• Einstellung der Kommissionsarbeit nach ungünstiger Kritik
• 1794 Entwurf des an Christian Wolff orientierten Vernunftrechtlers Karl Anton v. Martini (1726-1800)
• 1797 Testinkraftsetzung als „Westgalizisches Gesetzbuch“ (WGG = Urentwurf des ABGB)
• Fortsetzung der Redaktionsarbeit und Überarbeitung des Westgalizischen Gesetzbuchs unter Franz v. Zeiller (1751-1828)
• Bekanntmachung 1. Juni 1811
• 1. Januar 1812 Inkrafttreten in den deutschen Erblanden (Österreich, Steiermark, Tirol, Vorderösterreich, Böhmen, Mähren und Schlesien) und Galizien als „Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“ (ABGB)
Inhalt:
• rein privatrechtliche Kodifikation mit nur 1.502 Paragraphen
• weniger weitschweifig als das ALR, anschaulicher als das BGB
• ähnlich wie im ALR und im Cc Synthese aus röm.-kan. Recht, österreichischem Gewohnheitsrecht und Vernunftrecht (z.B. Versprechenslehre)
• Kompromiss zwischen Adel und liberalem Bürgertum, insbes. fortschrittliches Sozialmodell unter Abschaffung der Standesunterschiede (s.u.)
• Streichung verfassungsrechtlicher Ausführungen (Rechte der Personen) und Beschränkung auf das Privatrecht wg. des „Revolutionsschocks“
• Gliederung nach dem Institutionenschema des Gaius – § 14 ABGB: Die in dem bürgerlichen Gesetzbuche enthaltenen Vorschriften haben das Personenrecht, das Sachenrecht und die denselben gemeinschaftlich zukommenden Bestimmungen zum Gegenstande.
Personenbegriff:
• fortschrittliches Sozialmodell, Abschaffung der Standesunterschiede schon im GGB – zunächst nur theoretisch:
• § 16 ABGB: Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht wird in diesen Ländern nicht gestattet.
• § 17 ABGB: Was den angebornen natürlichen Rechten angemessen ist, dieses wird so lange als bestehend angenommen, als die gesetzmäßige Beschränkung dieser Rechte nicht bewiesen wird.
• aber § 1146 ABGB: In wiefern die Nutzungseigenthümer gegen die Obereigenthümer noch in anderen Verhältnissen stehen, und welche Rechte und Verbindlichkeiten ins besondere zwischen den Gutsbesitzern und den Gutsunterthanen bestehen, ist aus der Verfassung jeder Provinz, und den politischen Vorschriften zu entnehmen.
• vollständige Aufhebung der Leibeigenschaft erst 1848
Eigentumserwerb:
• titulus & modus - §§ 380, 423, 424, 425 ABGB
Fortwirkung:
• geringer als beim Code civil
• Übernahme in Liechtenstein 1812 bzw. (Erbrecht) 1846 (1923 dann schweizerisches Sachenrecht)
• nach Wiener Kongress Inkraftsetzung u.a. in Istrien (1815), Dalmatien, Lombardo-Venetien (1816) und Salzburg (1817)
• Vorbild für Gesetzbücher von Moldau (1817), Serbien (1844) und Montenegro (1888) und einiger Schweizer Kantone (Bern, Luzern, Solothurn)
• 1853 Ausdehnung auch auf Ungarn (nur bis 1861), KroatienSlawonien, Siebenbürgen
• 1914-1916 drei Teilnovellen zur Modernisierung in Anlehnung an das deutsche BGB
• Fortgeltung in den Nachfolgestaaten der k.u.k. Monarchie (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien), Ablösung erst durch sozialistische Gesetzbücher nach dem 2. Weltkrieg
• subsidiäre Rechtsquelle in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien bis heute
Entwicklung in AU nach Inkrafttreten:
• (zunächst) rein exegetische Rechtswissenschaft
• ab 1848 zunehmender Einfluss der deutschen
Rechtswissenschaft
• gezielte Umorientierung der Rechtswissenschaft durch Unterrichtsminister Graf Leo Thun Hohenstein aus politischen Gründen
> vom Naturrecht kantischer Prägung (als vermeintlich eigentliche Wurzel der Revolution 1848) zur historischen Rechtswissenschaft und Pandektistik
• Auslegung des ABGB im Sinne des Pandektenrechts durch Joseph Unger (1828-1913)
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